Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen ist in aller Munde. Ob als eigenständige Technologie für spezielle Anwendungsfälle oder eingebettet in gängige Unternehmenssoftware für zentrale Geschäftsprozesse. Ein Ausblick auf die faszinierenden Möglichkeiten.
Am Anfang stand die Angst. Die Büchse der Pandora, so schien es, war geöffnet. Künstliche Intelligenz lag plötzlich in den Händen der Menschen, genutzt am heimischen PC oder in der Firma. Fluch oder Segen? Das liess sich zunächst nur schwer erahnen, zu gross schienen die Dimensionen des Möglichen. Nun ist seit etwas mehr als einem Jahr die so genannte «generative KI» bereits fester Bestandteil unseres Alltags. Durch frei verfügbare Programme wie ChatGPT konnten sich auch die privaten Nutzerinnen und Nutzer einen Eindruck von den faszinierenden Möglichkeiten machen. Der Chatbot, der vor über einem Jahr den Hype um Künstliche Intelligenz erst auslöste, wurde mit gigantischen Datenmengen trainiert: Er kann Texte auf menschlichem Niveau formulieren, Software-Codes schreiben und Informationen zusammenfassen. Und schätzt dabei Wort für Wort, wie ein Satz weitergehen sollte.
Am Startpunkt einer neuen Dimension
Im grösseren Kontext der Künstlichen Intelligenz ist dies tatsächlich ein riesiger Fortschritt. Zu den bekannten Fähigkeiten traditioneller KI – aus Daten lernen (Deep Learning), Entscheidungen treffen und Prozesse automatisieren – kommt nun hinzu, selbst etwas zu erschaffen. Und das ebnet den Weg für Anwendungen, die bisher undenkbar waren. So verbringt zum Beispiel die neueste Version der Software ChatGPT unter dem Namen o1 mehr Zeit «mit Nachdenken», bevor sie eine Antwort gibt – «so wie eine Person es machen würde», heisst es in einer Mitteilung des Unternehmens.
Auf diese Weise soll das neue Modell auch komplexere Aufgaben als bisherige Chatbots lösen können. Die KI probiert verschiedene Ansätze aus, erkennt und korrigiert ihre eigenen Fehler. Aus Sicht der Entwickler von OpenAI kann das neue Modell etwa Forschern bei der Datenanalyse oder Physikern bei komplexen mathematischen Formeln helfen.
Veröffentlichte Daten zeigen allerdings auch, dass es in 0,38 Prozent von 100’000 Testanfragen wissentlich falsche Antworten gab. Das geschah vorwiegend, wenn nach Artikeln, Websites oder Büchern gefragt wurde – ohne Internetsuche ist das schlicht nicht möglich. Die Software erfand dann plausible Beispiele. Dies geschah, weil sie stets die Wünsche der Nutzer erfüllen wollte. Solche «Halluzinationen», bei denen KI-Software Informationen erfindet, bleiben immer noch ein ungelöstes Problem.
die wirtschaftlichen chancen für kmu sind aussergewöhnlich
Für Unternehmen aller Branchen ist diese generative KI nun tatsächlich der Wegbereiter für die Entstehung echter «Business-KI», die Unternehmen bei der Automatisierung von Prozessen, der Verbesserung von Kundeninteraktionen und der Steigerung der Effizienz auf vielfältige Weise unterstützen kann. Sollte ein Unternehmen also jetzt über den Einsatz nachdenken? «Unbedingt», sagt Dr. Jacqueline Gasser-Beck, Leiterin Teaching Innovation Lab an der Universität St.Gallen. «Wir befinden uns an der Schwelle zu einer Ära, in der Maschinen nicht mehr nur Vorhersage- und Empfehlungswerkzeuge sind, sondern Begleiter unserer Denkprozesse werden.»
Für Jacqueline Gasser-Beck steht ausser Frage, dass Künstliche Intelligenz weitreichende Auswirkungen für KMU haben wird. Fast jeder Geschäftsprozess könne optimiert werden. «Durch den Einsatz generativer künstlicher Intelligenz entstehen nicht nur Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen, sondern auch innovative Ansätze», ist sie überzeugt. Entsprechend sei KI weitaus mehr als nur ein flüchtiger Trend. KMU, die sich bisher nicht mit KI auseinandergesetzt hätten, riskieren aus ihrer Sicht, den Anschluss zu verlieren. Gemäss dem «Future-Jobs»-Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) würden 44 Prozent unserer beruflichen Fähigkeiten aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren veraltet sein. «Reskilling wird deshalb ein wichtiges Thema. Und Unternehmen, die nicht die nötige Agilität mitbringen oder ihre Mitarbeitenden nicht weiterbilden, können ins Hintertreffen geraten».
Schweiz ganz vorne
Die Schweizer Wirtschaft besitzt das weltweit höchste Wachstumspotenzial durch generative KI und könnte allein durch den Einsatz der neuen Technologie in den kommenden Jahren jährlich 0,5 bis 0,8 Prozent zulegen. Das zeigt die Studie «Embracing the GenAI Opportunity» von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PricewaterhouseCoopers, die das Wertschöpfungspotenzial der neuen Technologie in 20 Industrien weltweit analysiert hat. In einem Best-Case-Szenario könnte die Technologie laut Studie in der Schweiz einen BIP-Schub von insgesamt bis zu 50 Milliarden Schweizer Franken bis 2030 auslösen. Aber auch bei einer weniger breiten und schnellen Technologieadaption läge das zusätzliche Wachstumspotenzial immer noch bei 25 Milliarden Schweizer Franken. Für Europa beziffert die Analyse das mögliche Plus auf 415 bis 850 Milliarden Schweizer Franken. Wie stark einzelne Volkswirtschaften tatsächlich von generativer KI profitieren, hängt wesentlich von den Rahmenbedingungen im jeweiligen Land, der Geschwindigkeit der Technologieadaption sowie dem Branchenmix ab.
Im globalen Vergleich gehört die Schweiz gemeinsam mit Belgien, Schweden, den USA sowie dem Vereinigten Königreich zur Gruppe der «GenAI-Begünstigten» und führt diese als Spitzenreiter an. Um das volle geschätzte Potenzial von bis zu 0,8 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr durch GenAI erreichen zu können, müssen die Schweizer Unternehmen die durch GenAI möglichen Produktivitätssteigerungen laut Studie vor allem zügig und umfassend implementieren. Zugleich sollte die Schweiz die Standortbedingungen für KI-Unternehmen auf dem derzeit hohen Stand halten und weiter optimieren. «Wenn die Schweiz ihre Position als global führender Innovations-Standort halten und ausbauen will, muss das Land bei generativer KI an drei Hebeln ansetzen.
Erstens müssen noch stärker als zuvor KI-Champions durch weiterhin erstklassige Standortfaktoren wie Zugang zu Talenten, digitale Infrastruktur, attraktives Investmentumfeld sowie weitere Anreize ins Land gelockt und gehalten werden.
Zweitens müssen hiesige Unternehmen mit grossem Potenzial im Bereich generative KI die Technologie so schnell wie möglich implementieren.
Drittens müssen die bisherigen Nachzügler den Einfluss von GenAI auf ihre Branche umfassend verstehen und ihre Organisation und Mitarbeiter darauf vorbereiten, sodass sie ebenfalls von der neuen Technologie profitieren können», sagt Daniel Ettlin, Director bei Strategy& Schweiz.